Ohne Schüsterke kann Kleef niet leeve, ohne Schüsterkes kömmt Kleef nit ütt!
Diese über Jahrzehnte von den Klever Schüsterkes gesungene Hymne zeigt sehr deutlich, wie sehr sich die Schuhmacher mit Ihrer Stadt verbunden fühlten und wie sehr sie das Gefühl und die Gewissheit hatten, dass ihre Arbeit die Gestalt und die Entwicklung und den Erhalt der Stadt maßgeblich beeinflussten. Und wie stolz sie darauf waren.
Dies erklärt auch die maßlose Enttäuschung der Menschen, als 2004 der letzte Mitarbeiter der Schuhfabrik Hoffmann seine Arbeit und damit die Geschichte der Schuherstellung in Kleve beendete.
Über 100 Jahre hatten mehr als 50 Schuhfabriken Tausenden Ausbildung und Arbeit geboten und Ihnen den sicheren Arbeitsplatz und ein geregeltes Einkommen verschafft und die Schuhfabriken hatten durch Investitionen, Lohn- und Steuerzahlungen die Grundlage für eine rasante wirtschaftliche Entwicklung gelegt.
1970/71 produzierte z.b. Hoffmann mehr als 9 Millionen Paar Schuhe und 4200 Mitarbeiter waren in mehr als 20 deutschen Betriebsstätten beschäftigt, abgesehen von denen, die in ausländischen Niederlassungen beschäftigt waren.
1980 waren in Kleve nur noch eine Handvoll Schuhfabriken tätig, die 2600 Mitarbeiter beschäftigten. Kleve hatte zu dieser Zeit rd. 43 000 Einwohner.
1958 hatte Kleve 28 000 Einwohner, davon waren 3573 in der Schuhherstellung beschäftigt.
Kleve galt zu Recht als die Stadt der guten Kinderschuhe. Wurde doch hier der rechte und linke Kinderschuh entwickelt, wurden doch hier mehr als 20 000 Paar Kinderfüße vermessen und durch Jahrzehnte wissenschaftlicher Arbeit immer neue Grundlagen für die Produktion fußgerechter Schuhe geschaffen.
Obwohl der Rückgang der Schuhproduktion schon über Jahre vor dem Ende beunruhigend war, versetzte die Schließung allen Beteiligten einen Schock, war man doch zunächst davon ausgegangen, dass der Verkauf an die Firma Clarks ein Weiterbestehen sichere.
In seiner Rede zur Eröffnung des Klever SchuhMuseum im März 2010 sagte Bürgermeister Theo Brauer u.a.:
„Diejenigen, die in der Klever Schuhindustrie tätig gewesen sind, können auf eine stolze Tradition zurückblicken. Die Bedeutung, die dieser Industriezweig für die Stadt gehabt hat, ist nicht zu unterschätzen. Wenn z.B. die Einwohnerzahl der Stadt von 9000 im Jahre 1871 bis über 16.000 im Jahre 1905 zunahm und danach bis fast 22.000 am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, dann ist das zu einem nicht unerheblichen Teil der Entwicklung der Schuhindustrie zu verdanken. Als seit dem Ersten Weltkrieg die Bedeutung des Fremdenverkehrs in Kleve abnahm, wurde diese Industrie zur wohl wichtigsten tragenden Säule der städtischen Wirtschaft. Zunehmend zog sie damals auch nicht nur neue Einwohner an, sondern beschäftigte Pendler, was sich auf die Entwicklung des Verkehrssystems auswirkte.
…..doch man kann die Klever Schuhgeschichte nicht nur vom rein wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus betrachten. Es bestand hier unverkennbar ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit, ein Selbstbewusstsein der ‚Kleefse Schüsterkes‘. Dieses reichte bis über die Tore der Gustav Hoffmann-Schuhfabrik, wo man die Mitarbeiter als ‚Hoffmann-Familie‘ hegte, hinaus und umfasste auch die Kollegen in den anderen Fabriken und die Schuhmacher insgesamt.
Tatsächlich: die Schuhfabriken und mit ihnen die Schüsterkes waren bedeutend für Kleve, nicht nur für die Klever Wirtschaft, sondern für die Klever Heimat insgesamt. Denn diese Industrie hat die Stadt auch baulich, sozial und kulturell geprägt. Ich nenne nur die Werkswohnungen, die Gustav Hoffmann an verschiedenen Stellen in der Oberstadt bauen ließ, das Mädchenheim in der Wagnerstraße, das Gästehaus an der Hoffmannallee, das Haus Bresserberg mit dem Tennisplatz, den Fußballstadion, die Singgemeinde der Elefanten-Schuhfabrik, die Theatergruppe, die Fußballmannschaft, … . Auch das gehört alles zu der Tradition, die die Schüsterkes und ihre Erben bis heute mit Stolz erfüllt.“
Die Herstellung von Schuhen begann in Kleve bereits um 1300. Bereits 1296, also kurz nach der Gründung der Stadt, wurde den Schuhmachern ein eigener Zunftbrief verliehen. Das Handwerk entwickelte sich weiter bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Entwicklung und Einführung von Maschinen den Übergang vom Handwerk zur industriellen Herstellung einleitete.
Damit begann die Blütezeit der Schuhherstellung in Kleve. Obwohl auch andere Schuhe produziert wurden, war es die Qualität der Kinderschuhe, die Kleve weltweit bekannt machte.
Medizinische Begleitung durch ein spezielles Institut, das Messverfahren für die Kinderfüße und die ständige Weiterentwicklung der Kinderschuhe mit immer verbesserten Formen und Materialien erzielten das Optimum an Komfort und gesunder Passform.
Allerdings waren der erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise und erst recht der zweite Weltkrieg einschneidende Ereignisse für die Produktion und den Absatz. Diese Jahre waren bestimmt durch Entlassungen und Wiedereinstellungen der Schüsterkes je nach Auftragslage in den großen Fabriken, bis der zweite Weltkrieg mit seiner totalen Zerstörung der gesamten Stadt allem ein Ende setzte. Da waren es die Schüsterkes, die sofort mit dem Wiederaufbau Ihrer Arbeitsplätze begannen und es in kurzer Zeit schafften, die Produktion wieder in Gang zu setzen und der wieder einsetzenden Nachfrage gerecht zu werden. Sehr schnell waren die Kinderschuhe aus Kleve wieder am Markt und Produktion und Umsatz belebten auch die Wirtschaft in Kleve. Aber auch der Wettbewerb wuchs und zwang zu immer neuen Reaktionen – bis hin zu Verlagerung von Produktionen ins Ausland. Auf Dauer war dem Druck im Hinblick auf die immensen Aufwendungen zur Sicherung der Qualität nicht standzuhalten, die Wirtschaftlichkeit sank immer weiter. Zum Schluss war es nur noch die Firma Gustav Hoffmann als letzte der großen Produzenten übrig. Die dort beschäftigten Schüsterkes hofften bis zu Letzt, dass ein Verkauf des Unternehmens ihre Arbeitsplätze erhalten werde.Der Verkauf und die später erfolgende Schließung waren für die Beschäftigten und die Bürger und Vertreter der Stadt Kleve ein Desaster und der Frust über das unrühmliche Ende der über 100 Jahre bestehenden Schuhherstellung verständlich. Nun mussten alle sich damit auseinander setzen, dass Kleve auch ohne die Schüsterkes weiterleben konnte.
Kleve war nicht mehr die Stadt der guten Kinderschuhe.
Der Verein Kleefse Schüsterkes e.V. und das von ihm eingerichtete und betriebene Klever SchuhMuseum dokumentieren und präsentieren die Geschichte der Schüsterkes in Kleve, um sie der Nachwelt als kostbare Erinnerung über die Entwicklung ihrer Heimat zu erhalten.
Theo Knips 3/17