Postengang und tolle Streiche

Döntjes um „Hänn Heine“

Illustration eines korpulenten Polizisten in alter Uniform mit Pickelhaube und Säbel, der mit verschränkten Armen streng vor drei Kindern steht – einem Mädchen mit Reifen links und zwei Jungen mit Ball rechts – auf einer gepflasterten Straße mit umgekipptem Mülleimer im Hintergrund.

Die alten Schüsterkes liebten den Gesang. Wie erklang es doch an den Sommerabenden aus dem alten Weberviertel! „Das Meer erglänzte weit hinaus, im letzten Abendscheine.“ Den Text hatte einst der große Dichter Heinrich Heine (1797–1856) geschrieben, auf einer Reise rheinabwärts zum Meere hin.

    Aber nicht von diesem Heine soll heute die Rede sein, sondern von einem als „Klever Original“ bekannt gewordenen Polizisten gleichen Namens. Irgendwo in einem Dorfe am Niederrhein stand seine Wiege. Ein gepflegter Vollbart war der Schmuck seines Antlitzes. Als Krieger von 1870/71 war er ein eifriges Mitglied des Klever Kriegervereins und fehlte bei keiner Veranstaltung. Außer seiner „Einmischung“ an den „blauen Montagen“ sah man ihn „dienstlich“ vor dem Rathausportal oder im Kreise von Droschkenkutschern am Bahnhof stehen.

    Sein schönster Platz aber war immer an der Theke. Entweder bei „Jöpp achter de Kerk“ (J. Seegers), bei Theodor Terheiden in der Kapitelstraße oder vis-à-vis bei Paul Dickmann an der belebtesten Straßenecke, wo sich heute die „Kaufhalle“ befindet.

      Als Kleve noch „Bad“ war, führte Heines „Dienstweg“ durch die Allee am Tiergarten. Dort lustwandelten Kurgäste, vornehme Bürger der Stadt, und die Jugend erfreute sich beim Reifenspiel, „bandeln“ genannt. „Hänn Heine“ aber stand mit der Jugend und der deutschen Sprache stets auf dem Kriegsfuße.

      Per Unglück landete nun so ein Reifen in die gelenkten Schritte des alten Landrats. Heine hatte den „Verkehrsunfall“ pflichtgemäß erkannt und eilte sofort herbei. Mit strenger Miene fuhr er den Jungen an: „Dat ist doch kein Dinges, dem Landrat tööse de Been te bandeln!“

      Der Landrat grinste; man weiß nicht recht, ob wegen der Zweideutigkeit oder Heines Eifer: „Heine, lassen Sie ihn laufen; wir waren auch mal jung.“

        Wenn ein ärmerer Bürger seinem Häuschen im Frühjahr einen frischen Kalkanstrich gab, so legte er auch Wert auf eine längere Haltbarkeit des sauberen Anstrichs. Heine wußte, was ihm da als Hüter der Ordnung für eine Verpflichtung auferlegt war. Sieht er da eines Tages also, wie ein kleiner Junge eine Drüse mit äußerer Sekretion entleert – und zwar genau gegen die Wand. Da hieß es, ihn zur Ordnung zu rufen. In Heines Deutsch klang das so: „Wie kann man an der weiß geweißten Wand gehn stehn und peissen?“

        Die Erwachsenen zu fassen war für Heine schon schwerer. An der Theke bei Theodor Terheiden stand nach einem Fackelzug aus Anlaß der goldenen Hochzeit eines stadtbekannten Dachdeckerehepaares auch Hänn Heine. Der „Kuckuck“, ein geschwätziger Mann, erzählte, wie der „Schöne“ mit einem Revolver zu Ehren des Jubelpaares „Salut“ geschossen habe. Ein „Fall“ für Heine. Das war verboten. Der „Schöne“ war nicht wenig erstaunt, als er einige Tage später auf dieses Kuckucksei hin ein Strafmandat in Höhe von acht Mark erhielt. —

          Das Fett eines saftigen Bratens durch seinen Bart rinnende, stand Heine an einem Morgen an der Rathauspforte, als ein Junge spitzbübig nach der Uhrzeit fragte. „Halb acht, mein Junge“, sagt Heine.

          Sagt der Junge: „Dann kommt min öm acht Uhr datt Kündje* kóöse!“

          Das war zuviel verlangt von einem Beamten, und Heine nahm die Verfolgung auf. Er stolpert vorbei an dem Kommissar, der sich verdutzt nach dem Grund der Eile erkundigt. Empört berichtet Heine über das an ihn gestellte Ansinnen. Darauf der Kommissar: „Heine, dann haben Sie doch noch eine halbe Stunde Zeit!“

          • Kündje = verlängerter Rücken

          Ein andermal hatte Heine seinen besten Platz wieder an der Theke von Paul Dickmann und tat sich an „Berliner Weiße“ gütlich. Heines Helm lag auf dem Wandbrett, und im Vorraum lagerten leere Fässer. Ohne dass Heine es bemerkt hätte, wurde der Helm von Geisterhänden hinter die Fässer befördert.

          Dann gab einer der Geister Alarm, als ob draußen der Teufel los sei. Heine wollte die Verfolgung aufnehmen und griff nach dem Helm, dem Zeichen seiner Dienstgewalt. Aber der war fort! „Wo ist mein Helm?“ Heine schulte fluchend, die anderen grinsten. „Ich werde euch alle protokollieren!“ brüllte der Ordnungshüter wutschnaubend in das ausbrechende Gelächter der Zecher. — Ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

          Die lokalhistorische Begebenheit wurde zur Zugnummer für den nächsten Karnevalszug. Das war vor mehr als 50 Jahren, und schon damals stand die Rheinbrücke Kleve–Emmerich kurz vor ihrer Verwirklichung. Eine Gruppe von Schreinern hatte jedenfalls ein Modell von der ersehnten Brücke auf einen Wagen montiert. Am Brückengeländer stand ein Angler. An seiner Angel hing ein Helm. Neben dem Wagen ein Polizist – ohne Helm. Ganz Kleve und Umgebung lachte über die Unterschrift: „Heine ohne Helm.“

          Selbst im Ruhestand wachte Heine noch über die Jugend, damit der Moritzpark von ihren Untaten verschont bliebe. Nicht der Helm war mehr das Zeichen seiner Würde. Es war ein steifer „Köbel“ – und seine Waffe ein gewaltiger Knotenstock. Die alten Klever haben ihn nicht vergessen. Er ist eingegangen in die Reihe der Klever Originale. Ihr „Hänn Heine“.

          Heinrich Suter – Elefanten-Post 11. Jahrgang / April 1961

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