Öttje

Klever Originale
„Öttje“

Klever Originale
„Öttje“

Zu einem der malerischsten Winkel der Altstadt von Kleve gehörte einst die Schwanenstraße. Kein Wunder, daß sich hier der Landschaftsmaler J. B. Klombeck (Klombeckstraße) mit seiner Frau Maria, geb. Tinthoff, niederließ. Ihr Grabmal befindet sich heute noch, wenn auch vom Kriege beschädigt, auf dem alten Friedhof.

Die Schwanenstraße war ebenso wie die Stickenstraße, in welche sie mündete, der Wohnsitz „kleiner Leute“, die von ihrer Hände Arbeit lebten. Mancher Schuster hat hier mit Hammer, Ahle und Pechdraht sein Tagewerk vollbracht. Einen von ihnen nannte man „Schnuuk“ (langer Hecht).

Wenn er aus seinem Haus blickte, schaute er hinten auf die Schwanenburg und vorne auf ein Haus in der Stickenstraße, mit einem ovalen Schild an der Haustüre:

Fassionet v Arp
Gold u. Silberarbeiten

Hinter einem langen Fenster sah man den, obwohl noch jung an Jahren, bärtigen Fassionet mit einer kleinen Flamme hantieren, die er zum Bearbeiten der Edelmetalle benötigte. Fassionet, der eigentümliche Vorname, auf den schon der Vater gehört hatte, deutete auf die französische Abstammung der Brüder hin. Denn Fassionet war nicht der einzige Goldschmied im Hause. Er wurde von seinem Bruder mit dem zwar viel schlichteren Namen Otto unterstützt. Und von dem soll hier im wesentlichen die Rede sein.

Die van Arps waren Nachkommen einer Hugenottenfamilie, die nach jener furchtbaren „Bartholomäusnacht“ vom 23. auf den 24. August 1572 dem Blutrausch entkam und aus Frankreich emigrierte. Die Flüchtlinge des ausgehenden Mittelalters fanden damals Asyl in der Schweiz, in Deutschland und den Niederlanden, überall dort, wo man sie ihres Glaubens wegen nicht verfolgte. In Kleve entwickelte sich aus den Hugenotten die französische Gemeinde, deren Kirchenbücher bis auf den heutigen Tag erhalten sind.

Otto van Arp, klein von Gestalt, stets in Cutaway und Köbel (steifer Hut), weit und breit wegen seiner gesetzten Statur „Öttje“ genannt, hatte nicht das Sitzfleisch, das einen Gold- und Silberarbeiter auszeichnen mußte. Er war immer unterwegs. Man sah ihn viel in den Kreisen bekannter Klever (auch Originale), vor allem, wenn es etwas zu kritisieren gab.

Öttje führte also den Junggesellenhaushalt der Brüder. Da konnte er heraus aus dem Bau! Einkäufe und Botengänge waren seine Sache. Als Frühaufsteher traf er gleich morgens auf der unteren Stickenstraße Isaak Günther, den Schächer der jüdischen Gemeinde, wenn der mit seinem Sohn eine Ziege zum Schlachthof führte. Selten ging es ohne ein paar saftige Bemerkungen ab: „Heij door äwel enne mageren Hepp?“ sprach Öttje, oder „Door es min en Stück von de Pärdspulit ‚Heer‘ wäl liever.“

Manchmal hatte er eine ganze Geschichte parat: „Heij all gehöhrt, Isaak? Bei Wälle op de kleine Märt het sich Sonndag den twälfte Geiteverein in de Kreis gebeld. Van die oör Zucht soil wäl männeg Dierke kriege. Twee Böck häwe sej all angeköört. Denn Schnejer Schulte zur Wissen schätst de Geite in Kleef op 170 Stöck.“

Während die Ziegenmetzger dann ihren Weg zum Schlachthof fortsetzten, zog Öttje mit seiner geflochtenen Basttasche aufwärts, um bei Arthur Wedler die „Wenkelwoar“ (Lebensmittel) einzukaufen. Das „Örtje“* durfte er vor allem nicht vergessen. Auf diesem Gang gab es meist noch eine kleine Unterredung mit dem „Winkeladvokaten“ von Kleve, dem Schuster „Nöös“ Kalveram, der seine Hunde zur Morgentoilette führte. Der machte zwar seine Leisten noch selbst, aber ein Klever war er nicht.

„Nööß“, sagte Öttje, „hej noch genne neje Gesell? Ännen Hauptmann von Köpenick sõj wäll niet märe krigg. Denn häwe sej achter Gitter.“

„Spotte nicht, Ott“, replizierte der „Nöös“ umständlich mit der hohlen, heiseren Stimme eines Eunuchen. „Ich bin ganz sicher, der krumme Kerl, der damals als durchreisender Handwerksbursche auf meinem Schusterstuhl saß, jawohl daß, das war kein anderer als der tolle Hauptmann, der Schuster Wilhelm Voigt.“

Sei es in der Stadt oder auf dem Markte, Öttje bildete stets den Mittelpunkt. Immer hatte er ein Grüppchen um sich herum und war „am diskutieren“. Eine Geschichte um den Öttje hat damals viel Staub aufgewirbelt. Auf dem kleinen Markt stand in der Brotkartenzeit des ersten Weltkrieges ein Mehlfuhrwerk. Öttje machte große Augen. Da das Fuhrwerk vor dem Hause des Bürgermeisters hielt, war sein Schluß messerscharf und eindeutig. Er übersah allerdings, daß das Mehl in eine Bäckerei einige Häuser tiefer getragen wurde.

„Wej ämre Menze modde op de Mönt (Münze) in dat Lebensmittelamt bei Streuff stondelang op Brotkoorte wachte; en sönnen Börgermeester brenge sej et Mähl mett de Korr nor Huis.“ So räsonierte Öttje später im „Nöölklub“. Und bald räsonierte die ganze Stadt mit. Aber der Nöölgeist habe dieses Mal danebengehauen. Erst beim Schiedsman wurde die Sache bereinigt. In einer kleinen Anzeige in der Tagespresse hieß es dann: „… nehme mit Bedauern als unwahr zurück.“

Gute und schlechte Zeiten erlebten die beiden Brüder van Arp in ihrer Goldschmiedewerkstatt. Still ist es geworden um die handwerkliche Kunst. Verschwunden sind die alten Häuser. Nur einige sind nach Renovierung von Bombenschäden an der alten Stelle auf der Schwanenstraße noch zu sehen.

Von den damals bekannten Persönlichkeiten wissen heute nur noch die wenigsten Bewohner dieses Stadtteils zu berichten. Im Mittelpunkt der Erinnerung aber steht „Öttje“.

Heinrich Suter – Elefanten-Post 13. Jahrgang / Februar 1963

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