
Sie zogen in das Feld und hatten weder Beutel noch Geld“, heißt es in einem alten Landsknechtliede. So geschah es auch – lang ist’s her – Anno 1870. „Zu Siebzig, da zogen die Lippischen Schützen …“ Aber sie zogen nicht allein. Mancher Klever Bürger zog mit. Wenn er bei den „Preußen“ seine aktive Dienstzeit schon abgeleistet hatte, wußte er aus der Eintragung in seinem Militärpaß, an welchem Mobilmachungstag er sich zu stellen hatte. Da hieß es, zur rechten Zeit in der Festung Wesel einzutreffen. Der Weg dahin war nicht so einfach wie heute. Es ging zunächst bis Emmerich zu Fuß oder mit dem Postwagen, und dann per Schiff rheinaufwärts. Das waren noch Zeiten!
Die in Wesel zusammengestellten Einheiten wurden von dort zur Landesgrenze in Marsch gesetzt. Das hieß damals: sie liefen hin. Von Fahren konnte keine Rede sein. Als die wackeren Klever die französische Grenze erreichten, war die Schlacht in vollem Gange. Man ging Mann gegen Mann. Es knallten die alten „Donnerbüchsen“. Die Reiter gingen mit gefällter Lanze zur Attacke vor, in einem fast noch „ritterlichem“ Kampf. Es war ja die Zeit, in der noch nicht einmal die Handgranate erfunden war. Aber es gab Kanonen. Um sie konzentrierte sich oft ein Gefecht, und sie galt es für den Feind zu nehmen.
An einem solchen Geschütz kämpfte als letzter Mann der Bedienung ein Klever Schuster. Er hieß Wilhelm Tilders. Und er kehrte mit einer kleinen Schramme auf der Nase und dem E. K. I auf der Brust aus dem Feldzuge heim. Das Eiserne Kreuz Erster Klasse, das der tapfere Schuster erhalten hatte, war damals in der Tat eine hohe Auszeichnung.
Wenn die Kameraden von Heldentaten eigener Erfindung berichteten, so konnte Wilhelm Tilders aus Erfahrung sprechen und mit Beweissstücken aufwarten. Er brauchte nicht zu übertreiben. Die „Altschuster“ konnten zwar auch nur selten alles aufbinden, die in ihrem Leben nicht weiter als bis Goch oder Kevelaer gekommen waren, aber das genügte für Wilhelm Tilders.
Der tapfere Schuster trug deshalb sein Beweissstück ebenso gern wie häufig zur Schau, um allen Zweiflern wirkungsvoll zu begegnen. Daher wurde er unter dem Beinamen „dä Isere“ stadtbekannt.
Wenn an „Kaisers Geburtstag“ der Kriegerverein an der Parade der Klever Garnison teilnahm, sah man außer „Putz Heine“ in weißer Hose und den blanken Metallteilen seiner Uniform auch den „Iseren“ als Fahnenträger.
Behagte ihm jedoch am blauen Montag die Arbeit nicht sonderlich, dann steckte er sein E. K. I auf die Schusterschnürze und ging zur nahen Kaserne. Jeder Rekrut erkannte ihn schon von weitem. Der Posten zog die Alarmglocke. Die Wache trat heraus, präsentierte das Gewehr, und der Wachhabende meldete, wie es bei den Preußen üblich war. Das war Vorschrift!
Aber man kann alles übertreiben. So auch in diesem Fall, vor allem, wenn „dä Isere“ es als Anlaß des blauen Montags mehrmals am gleichen Tage ausprobierte. Eine ganz besondere Freiheit von dem „Iseren“ schlug jedoch dem Faß die Krone ins Gesicht!
An einem blauen Montag, als er wieder einmal schwer geladen hatte, ließ er sich ein besonders derbes Stücklein einfallen. Er hängte seinem Hund das Eiserne Kreuz um den Hals und ließ den an der Wache vorbeilaufen. Daß die Ehrenbezeigung ja vor dem Orden und nicht vor der „Person“ zu machen war, trat die Wache prompt hervor.
Der „Isere“ stand an der Ecke und lachte. Das brachte ihm aber eine Beschwerde bei der Militärbehörde ein. Mit der Ehrenbezeigung war es nun vorbei. Sie erfolgte in Zukunft nur noch aus besonderen Anlässen laut höherem Befehl!
Heinrich Suter – Elefanten-Post 11. Jahrgang / Juni 1961
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