Bernd Terriét

Es gibt einen alten Stich von Jan de Beyer aus dem Jahre 1745, der vor einigen Jahren als Beilage im Klever Heimatkalender erschien. Er stellt den Klever Fischmarkt dar mit dem alten Mitteltor. Das Tor stand etwa da, wo heute das Burgtheater ist. In seinem Türmchen hing einst die Glocke „boose gramme Griet“ (böse finstere Gretel). Ihre Inschrift lautete:
„Ick heyß de boose gramme Griet,
Als ick slaa, so slaa ick met verdriêt;
Slaa ick an eenen kant, so iss’ et mordt of brant,
Slaa ick beyde zeyden, so wil den onderdaen
Tegen den landtsheer streyden.“*
„Ich heiß’ die böse, finstere Gretel, wenn ich schlag’, so schlag’ ich mit Verdruß; schlag’ ich auf einer Seite, so ist es Mord oder Brand, schlag’ ich beide Seiten, so wollen die Untertanen gegen den Landesherrn streiten.“
Neben dem Mitteltor, am Fuße der Schloßstraße, befand sich ein Haus, welches in seinem Grundriß und in der Dachkonstruktion bis 1944 nicht mehr verändert wurde. Es war das Elternhaus des stadtkannten Konditormeisters Bernd Terriét. Vor Jahrzehnten konnten sich die ältesten Klever Einwohner gerade noch daran erinnern, daß seine Eltern untereinander französisch sprachen. Schon 1835 war hier ein Café eingerichtet.
Seine Attraktion: der damals moderne Rumpunsch. Die Ladentür enthielt eine in Glas gemalte Szene aus „Hänsel und Gretel“. Damit es jeder merkte, stand unter der Szene die Beschriftung: „Zum Knusperhäuschen“. Im Oberlicht der Haustür war der Name des Inhabers zu lesen, mit einem „é“ (Accent aigu) aus dem französischen Alphabet: B. Terriét. Das war noch nicht einmal so bedeutsam. Aber oben an der Fassade, zwischen den Dachsparren und den Fenstern des ersten Stockes, stand auf schwarzem Grund mit weißen Riesenlettern ein Transparent: „Mensch, versüße dein Leben.“ Darunter etwas kleiner der Name des Cafés: „Hohenzollern“.
„Nein, so was!“ würde man heute sagen. Dabei hat der langjährige Besitzer Bernd Terriét niemals eine Schankerlaubnis für Alkohol bekommen, obwohl er sich intensiv darum bemühte. Deshalb war er auf den Bürgermeister auch nicht gut zu sprechen. Was gab es also im „Café Hohenzollern“? Sinalco! — Sie glauben es nicht? Jawohl, Sinalco gab es damals schon, und sogar hergestellt mit „Sinalcoseele aus Detmold“.
Der Inhaber des Cafés „Hohenzollern“ war eine stadtbekannte Persönlichkeit. Er war nicht nur redselig, sondern auch vielseitig und verstand es, seine Gäste zu unterhalten. Überall, wo es etwas zu kritisieren gab, war er dabei, und das nicht nur, weil er keine Schankerlaubnis erhalten hatte.
Als Tierfreund pflegte der behäbige Mann mit dem schwarzen Schnurrbart die Zucht der kleinsten Hunderasse, nämlich des Zwergrehpinschers. Zwergrehpinscher sind heute kaum noch in Mode. Aber damals gehörten sie zu den Abgöttern der sogenannten Prominenz. Immer, wenn man Bernd Terriét auf der Straße vor seinem Café stehen sah, hatte er also eines dieser Kleintiere auf dem Arm. Manchmal schaute es auch treuherzig blinzelnd neben seinem kräftigen Bauch aus der Tasche.
Wir sagten schon, daß Bernd Terriét vielseitig war. War es also ein Wunder, daß er sich auch als Poet versuchte? Eines seiner „Werke“ können wir wiedergeben.
Zunächst die Vorgeschichte: Im Jahre 1890 etwa hatte ein Bauer aus Mehr in der Kavarinerstraße erstmals eine Neuerung bei der Abfuhr von Abwässern geschaffen: eine Saugpumpe.
Dazu schreibt Bernd Terriét:
„Van Ackerns Saugmaschine
reinigt die Latrine.
Jüngst bei einem Schneiderlein
kam der Druck so heftig,
zog den Schneider kräftig
durch die Brille mit Gewalt hinein.
Hörte man, o Jammer, Jammer,
aus der Reinigungskammer:
Ich bitt’ um fünf Minuten Zeit.“
Dieses „Gedicht“ hat sicher zu seiner Zeit viel Aufsehen erregt.
Neben Bernd Schöning und Jean Richrath (Vater vom Verfasser des Schusterkelsliedes, Willi Richrath) galt auch Bernd Terriét als Lieblingsschüler des „Roojen Mönnichs“. Als der bekannte Lehrer 80 Jahre alt wurde, waren seine Schüler beim abendlichen Feuerwerk mit von der Partie und sangen noch am nächsten Morgen um fünf Uhr: „Lang soll er leben in Gloria!“
Eines Tages gab Bernd Terriét seine Konditorei, zu der er, wie gesagt, die Schankerlaubnis niemals bekommen hatte, auf und verkaufte sein Anwesen an Gustav Hoffmann. Der ließ es zum späteren Schloßcafé umbauen. Der vielseitige Bernd baute in Kellen eine Versteigerungshalle auf; doch die Inflation ließ das Unternehmen nicht zur Blüte kommen.
Bernd Terriét zog wieder nach Kleve und erwarb jenes Haus an der Hagschen Straße, in dem Gustav Hoffmann einst das Licht der Welt erblickt hat. Hier setzte er den An- und Verkauf von Antiquitäten fort.
Eines Tages las man in den Zeitungen von einer Betätigung Bernd Terriéts auf ganz anderem Gebiet. Er war unter die Heilmittelhersteller gegangen, und zwar als Erfinder. Für zwei Klever Apotheken hatte er das Rezept des später häufig benutzten Allheilmittels „Soquitt“ zusammengebraut. Es konnte kein Übel geben, das man mit „Soquitt“ nicht so quitt werden konnte.
Aber die Karnevalisten nahmen den alten Spötter nun selbst auf die Hörner. Ein Karnevalszug in den dreißiger Jahren zeigte unter dem Motto „Kleve kneip(pt) ganz groß!“ eine große Flasche und eine leere Geldtasche mit der Losung: „Soquitt“ oder „so quitt“. Was sollte Bernd machen? Er ließ die Spötter reden.
Er redete an anderer Stelle! Auf einer Bank im Moritzpark, im Klub der Oppositionellen, dem „Nööklub“, lauschten andächtig die Rentner, wenn er das große Wort führte. Einmal kriegten sie ihn aber dran. Einer fragte: „Bernd, hej all der söht, der Johannistörm wird opgebaut.“ (Der Johannisturm ist ein schon seit mehreren Jahrhunderten zerstörter Turm der Schwanenburg.) „Nee,gej siet nij wiss!“ „Jowäll, än gej söllt als Ütrupper dorpod komme.“
Doch mit dem Ausrufer wurde es nichts. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es still um Bernd Terriét. Nur noch ab und zu vernahm man aus der Tagespresse am Ort, daß er ein Jahr älter geworden war, das Klever Original Bernd Terriét.
Bild oben KI generiert
– Elefanten-Post 12. Jahrgang / Februar 1962
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