
„Im Maien“
„Nun bricht aus allen Zweigen das maienfrische Grün …“ So erklang die Weise Mendelssohn-Grün’s aus den Kehlen fröhlicher junger Bartholdys an den Kehlen fröhlicher junger Schüsterkes und Stecksterkes. Die erwachte Natur hatte sie hinausgelockt zum fröhlichen Tun. Der nahegelegene Tiergartenwald bot ihnen Gelegenheit zum ausgedehnten Spaziergang.
Es war der letzte Sonntag im Mai. Und da galt der Besuch nicht nur dem Tiergartenwald, nein, in Donsbrüggen war es der Kirmes des Kreises. Wie hatten sich die Stecksterkes aufgeputzt! Noch gab es hohe Frisuren. Mit der Brennschere waren die Locken gelegt. Zum hellen Kleid ein breitrandiger Strohhut, mit Blumen garniert. Die Füße bekleidet mit Schnallenschuhen, die man in einem Lied besang:
„Droben auf der Wilhelmshöh’, da geht’s lustig zu.
Da tanzen die Bauernmädel auf Schnallenschuh’.“
So war das anno dazumal. Am Forsthaus Hirschpfuhl vorbei ging es bei den „Römergräbern“ abwärts. Ja, die Römergräber? Der Name erinnert an eine Schlacht, die vor einigen Jahrhunderten hier stattgefunden hat, die Schlacht an der Alten Bahn. Römer kämpften gegen Franken. Sie unterlagen, und die Franken kamen über den Rhein. Damals entstanden links des Rheines neue Dörfer, deren Namen sogar heute noch auch auf der anderen Rheinseite zu finden sind.
Mittlerweile ist man in Donsbrüggen angekommen. Das Tanzzelt am „Waldschlösschen“ nimmt die fröhliche Gesellschaft auf. Wie dreht man sich da auf dem geglätteten Tanzboden, wenn die Blasmusiker ihre Instrumente ertönen lassen und der Zeltbesitzer, der „dicke Pütz“ aus Kleve, selbst die Tuba bläst! Da schlagen die Herzen im Dreivierteltakt des Walzers. Und dann singt alles im Polkashritt:
„Rechts ist Heselmann, links ist Dingermann, gerade durch die Mitte geht’s zum Aussichtsstand.“
Wie fliegt da das Tanzbein beim „Rheinländer“ und „Valse bleue“ bei „Polka Mazurka“ und im „Galopp“! Zu schnell vergehen die Stunden. Zu Fuß geht es um Mitternacht heimwärts. Manchem weiblichen Wesen wird es am Schloß Gnadenthal etwas unheimlich, dort, wo der Weg beiderseits bewaldet ist. Ja, hier spukt es der Überlieferung zufolge.
Die Mutter des Anacharsis Cloots („Elefanten-Post“ November 1961) findet ob ihres ungeratenen Sohnes im Grabe keine Ruhe und wandelt hier zur nächtlichen Stund. Ach, der Feuerkopf war ja hier geboren, der zur Zeit der großen Französischen Revolution diesen Kopf verlor. Im Strudel der Aufklärung hatte er sich selbst den Titel „Erklärter Feind Jesu“ zugelegt. Aber trotz des bangen Herzklopfens war dieses Mal kein Spuk erschienen. Das geheimnisvolle Rauschen hinter den Hecken klärte sich auf, als ein gedämpft-tiefes Möhö erscholl. Die Kühe waren schon draußen.
Gegen Morgen sagte man sich in den heimatlichen Gefilden ade. Kein Schutzmann weit und breit. Die Bürger schliefen. Zum Abschied noch ein Liedchen. Aber nur pianissimo:
„Dreimal ums Häusele, dreimal ums Haus,
Ade, mein lieber Schatz, die Lieb’ ist aus.“
Wenn man am Montag so früh heimkehrte, wie sollte man dann noch schaffen? War das nicht ein Grund, die Tradition des Blauen Montags hochzuhalten? Das Versäumte wurde im Laufe der Woche dreifach wieder eingeholt. Immerhin war die Donsbrügger Kirmes nur ein Anfang. Im Laufe des Sommers bot sich noch mancher Anlaß zum Feiern. Und dann waren Schüsterkes und Stecksterkes wieder dabei.
Bild oben KI generiert
– Elefanten-Post 12. Jahrgang / Mai 1962
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